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Red Apollo – Altruist

Red Apollo - Altruist

Altruismus bezeichnet – grob gesagt – das Gegenteil von Egoismus. Damit endet die heutige Philosophie- und Ethikstunde auch schon. Ein Beispiel: Egoistisch wärs von Red Apollo gewesen, ihr aktuelles Album für sich zu behalten. Gut dass sie es nicht getan haben, der Name ist also zumindest in der Hinsicht Programm. Die Dortmunder haben drei Jahre nach dem nach wie vor großartigen Marche Funebre, einer Reihe von Splits mit Withers, Gottesmorder und Sundowning und einer Menge Konzerte nun auch die Zeit gefunden, mit Altruist zehn neue Stücke herauszubringen.

Schnell fällt auf: Man ist ist sich treu geblieben. Mit Blick auf das Genre wandeln Red Apollo nach wie vor zwischen den schönen, überbenutzten Schlagworten Postmetal, (Post-)Hardcore, Black Metal, garnieren die Suppe weiterhin mit ein wenig Ambient und eher sanften Postrock-Klangpassagen. Das klingt jetzt nicht neu, ist es auch nicht. Diverse obskure bis extrem populäre Bands (füllen Deafheaven eigentlich schon Fußballstadien?) haben sich dieser Mischung mit jeweils eigenem Dreh schon angenommen. Dass Red Apollo aus dieser Masse an klingt-so-ähnlich-wie-Bands hervorstechen, liegt einerseits an der dramaturgischen Finesse, mit der die Songs umgesetzt werden: Klar, auch laut-leise-lauter-Strukturen sind keine Neuheit, aber die einzelnen Songs entwickeln über die Dauer des Albums hin einen Sog, dem sich der Hörer nur schwer entziehen kann. Zweitens liegt es an der Qualität dieses Soges: Die Wucht und Klanggewalt, die jeder Song auf Altruist entwickelt, lässt hoffen, dass Red Apollo bis zum nächsten Album noch ganz häufig ihr Material auch live unter die Leute bringen. Zu wünschen wäre es dem Hörer eindeutig, Altruist entfaltet seine Wirkung zwar auch auf CD, doch verdienen diese Songs allesamt eher ein Livesetting als eine sterile Hörumgebung. Der instrumentale Opener Prurience baut die Spannung auf, bevor dann Lovegazers in einer ersten Explosion aus Stimme und Instrumenten den Ton für das restliche Album setzt: Brachial, agressiv, düster aber gleichzeitig auch melodisch und – achtung – schön. Ganz großartig!

Interessanterweise hält man sich gesanglich auf Altruist aber ein wenig zurück: Von den 10 Songs kommen drei ganz ohne Vocals aus; auch die anderen Songs setzen sie eher stellenweise akzentuierend denn als Fokus des Songs ein. Darin zeigt sich der vielleicht größte Unterschied zu Marche Funebre aus dem Jahre 2012, das den Gesang durchaus stärker in den Mittelpunkt rückte. Überhaupt erscheint die Entwicklung, die die Dortmunder durchgemacht haben, sich erst auf den zweiten Blick zu offenbaren und eher eine Tendenz der Zurücknahme denn der Überbietung zu sein: Die Stücke erscheinen ein wenig langsamer geworden zu sein, weniger Ausbruch an Ausbruch, mit mehr Zeit zum durchatmen. Es wird nicht versucht, Marche Funebre in Geschwindigkeit, Wucht oder kompositorischen Extravaganzen zu übertreffen. Stattdessen scheinen Red Apollo die besten Aspekte ihres Erstlings rausgepickt und verfeinert zu haben – mit Erfolg! Denn diese Reduktion ist keineswegs schlecht, sondern der düsteren Atmosphäre nur zuträglich. Das Ziel, beispielsweise Deafheaven die (zukünftigen) Fußballstadien streitig zu machen, hat man zum Glück ohnehin nicht. Auf den aktuellen Konzerten quer durch West- und Nordeuropa kann (und erfahrungsgemäß: sollte unbedingt) sich der Hörer ein Bild davon machen, wie Red Apollo im kleineren Rahmen klingen. (Hinweis: Die Antwort war bisher ›verdammt gut!‹)

Letztlich bleibt: Altruist glänzt in vielen Belangen und lässt vermuten, dass Red Apollo noch lange und häufig von sich hören lassen. Alle Voraussetzungen sind dafür gegeben. Und das kann nur gut sein – so viel Egoismus darf man sich als Hörer dann doch zugestehen.

Red Apollo – Altruist
01 Prurience
02 Lovegazers
03 Sacrificing Permanence
04 Our Lucid Dreams
05 Altruist
06 The Slaving Eyes
07 Dissociative
08 Aphrodythian Loss
09 Heaven’s Street
10 Remnants Of A Blazing Sun



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