KRITIK: Silent – Modern Hate

Silent haben in dreierlei Hinsicht die besten Voraussetzungen im Schlepptau.
Zum einen befinden sie sich bei Three One G, Qualitätslabel für innovative Musik aus San Diego, in bester Gesellschaft. Labelboss Justin Pearson veröffentlichte 2016 bereits den Vorgänger A Century Of Abuse. 2019 wurde das leider nur digital erhältliche, perfekt inszenierte The Cure Cover Prayers For Rain via Bandcamp herausgebracht.
Bereits A Century Of Abuse umriss die musikalische Vision der vier Mexikaner:innen schon ganz gut.
Gitarrist Alejandro Lara formierte 2015 zusammen mit Sänger Jung Sing in Baja, Kalifornien die Band. Mr. Jung Sing spielte schon mit Justin Pearson bei All Leather. Hörer:innen gepflegter chaotischer Musik dürfte Justin bestens bekannt sein als Sänger legendärer Bands wie The Locust oder den Swing Kids. Jung Sing besitzt ein enormes stimmliches Charisma, das gepaart mit viel Abwechslung seinesgleichen sucht.
Das musikalische Grundgerüst besteht zu großen Teilen aus leicht schrägem Post-Punk und wird mit einer gesunden Schippe Goth-Rock kombiniert. Je nach Ausrichtung des jeweiligen Songs verschiebt die Band problemlos in die ein oder andere Stilrichtung. Jenseits von ausgetretenen, arg strapazierten Pfaden, gelingt ihnen anscheinend mühelos der Spagat zwischen fordernden oder melancholisch ausgerichteten Liedern.
Obwohl Modern Hate schon 2018 so gut wie fertig geschrieben war, verschob sich der Release auf unbestimmte Zeit, nachdem Schlagzeugerin Alexandra Varela das Vierer Gespann verließ.
End, die erste Single des neuen Albums knüpfte nachvollziehbar den Knoten zum ersten. Anschließend beweisen Silent dass die unfreiwillige Pause auch gute Seiten mit sich brachte. Sehr eingängig rollt der Song seinem Ende entgegen, aber bevor er in eine abgrundtiefe Interferenz stürzen kann halten die Drums ihn an der Erdoberfläche.
Nach den ersten Takten entwickelt sich A New Slave zu einer schweißtreibenden Angelegenheit, wobei hier absolut eine Goth-Death-Rock-Kante regiert. Gitarrist Alejandro streut hier erstmals diese coolen dunklen Surf-Riffs ein, was sofort an East Bay Ray/Dead Kennedys denken lässt. Schlagzeugerin Rocio Chavez treibt den Song mit schön Tribal-lastigen Beats vor sich her und Jung setzt zu ungeahnten tiefen Gesangslinien an. Besonders beim Refrain kommt seine sehr wandlungsfähige Stimme zum Tragen. Förmlich greifbar wird die anhaftende Frustration und traurige Note überzeugend transportiert. Der Schlussteil gehört eindeutig dem Gesang, der leidend, windend von einer schön halligen Post-Rock-Gitarre eingebettet wird.
It Follows schraubt das Geschwindigkeitslevel weiter nach oben und galoppiert ohne Stop geradeaus. Die pumpenden Basslines, die sägende Gitarre, ein druckvolles Drumkit werden garniert von einem Gesang, der in seinem Bariton an beste Zeiten der Fields Of The Nephilim erinnert. Unglaublich, dass hier nur eine Gitarre zu hören ist, die es wunderbar versteht von treibenden Riffs auf den Sägezahn umzuschalten. Eine überraschende Wendung bekommt der Song im letzten Drittel durch enorm dynamische Schlagzeug-Schläge. Aus dem zusätzlichen Druck entsteht ein krass tanzbarer Beat der mehr Party verbreitet, als die letzte Siesta vor dem Lockdown.
Track Nummer vier schaltet überraschend mehrere Gänge herunter, was nicht bedeuten soll es gäbe eine Verschnaufpause. Sich auftürmende Delay-Gitarren verbreiten eine schier klirrende Kälte, denen sich Drums und Bass unterordnen. Ein Refrain funktioniert hier quasi als aufkeimender Ausbruch, der sich am Ende mit aufbäumenden Textzeilen nochmals richtig austoben darf und uns schweißgebadet zurücklässt.
Stilistisch an die Hot Snakes erinnernd, zieht Death Is Not An Option das Tempo wieder an und bietet genug Potenzial für den ein, oder anderen Stagedive. Bassist Rodo Ibarra drückt zusätzlich ordentlich Groove in das Soundgefüge, dem die Surf-Riffs das Sahnehäubchen aufsetzen. Die B-Seite beinhaltet mit The Witness wieder so einen scheinbar monoton nach vorne gehenden Track, wobei die Gitarre mit einem enorm hymnischen Riff, diesem sogar Hit-Qualitäten aufdrückt. Das Schlagzeug ähnelt hierbei einem Maschinenrhythmus.
Textlich dreht sich das Album sehr um aktuelle Themen. Aberglaube und die letztjährig extrem aufkeimenden rassistischen Ereignisse stehen zentral im Vordergrund.
Empty Space lässt schon beim lesen des Songtitels erahnen wovon er erzählt. Er wirft die Frage auf, klagt an, warum noch so viele Mexikaner:innen weiterhin der Kirche die Basis für ihren Glauben liefern. Mit Empty Space schrieb die Band den härtesten Song des Albums. Anfangs klingt der Gesang wie durch ein Megaphon verfremdet und schleudert seine Kritik lauthals dem Publikum entgegen. Erneut klirren die leicht krachigen Riffs angenehm unangenehm aus den Boxen und klopfen den letzten Mörtel aus den maroden Kirchenmauern. Abschließend lassen Silent mit No Heaven endgültig das Unwetter über die Kirchen Mexikos hereinbrechen. Immer wieder erinnert mich Jungs Stimmvielfalt an die von Jello Biafra, wobei der musikalische Aspekt hier natürlich im Endergebnis ganz anders ausfällt. Nicht nur die dunkel angehauchte, surfige Gitarre, sondern lyrische Brisanz und exzellentes Songwriting rücken die Band durchaus auch in die Nähe der Dead Kennedys. Unter dem Strich liegt hier ein Album vor, das mehr als nur eine Steigerung bedeutet und genau zum richtigen Zeitpunkt veröffentlicht wurde.
Silent verpassen nicht nur dem Genre Post-Punk eine ordentliche Frischzellenkur, sondern kreuzen diesen wohl dosiert mit Anteilen aus der Noise-Rock-Schublade.
Leider liegen dem perfekt produzierten Album keine Texte bei. Dafür sieht das plan- und griffig verarbeitete Splatter-Vinyl umso schöner aus und bildet mit dem Artwork eine geschlossene Einheit. Modern Hate von Silent erschien am 23.04.2021 auf Three One G Records
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