Sonntagskolumne: Kellerfeld II
Während des Aufenthalts wechselte mein Auftraggeber zweimal, wie ich aus dem Emailverkehr später entnahm. So erklärte ich mir die Unmöglichkeit, das zuständige Büro zu finden: es war nur virtuell und auch nur im Virtuellen zu finden.
Da jetzt quasi die wichtigsten Dinge geklärt waren, konnte ich meine Exkursion in die Seele der deutschen Rocknation beginnen. Der Deutsche liebt ja Macht und Hierarchie, so auch und ganz besonders auf dem Rock am Ring. Tausende Menschen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen, dazu unendlich viel Polizei, Feuerwehr und THW, Security, Presse und ein Aufgebot an Subunternehmen, die Subunternehmen beauftragen, Subunternehmer zu beauftragen. Ein babylonisches Zuständigkeits- und Stimmengewirr, ein ständiges Sirenenkreischen. Während meines Aufenthalts wechselte mein Auftraggeber zweimal, wie ich aus dem Emailverkehr dann später entnahm. So erklärte ich mir dann die Unmöglichkeit, das zuständige Büro zu finden: es war nur virtuell und auch nur im Virtuellen zu finden. mein Handy aber war leer und ich auf anständig dosierten Halluzinogenen.
Es regnete und überall Matsch und Trinkende mit Bollerwagen, die für Asphalt gedacht waren, versanken, aufgegeben wurden und später, von neuen Besitzern repariert und weitergenutzt wurden. Ich lächelte, liess mich auf ein Bier einladen, probierte Bierbongs, lachte ausgelassen. Es fühlte sich an wie ein gerade noch geschafftes Abitur bzw. die Feier danach. Das LSD war übertüncht von Alkohol und Wachmachern, gab dem Ganzen aber noch zusätzliche Absurdität. Durch Regen und Schlamm und Gratisbier war alles kollektiv dumm und irgendwo hässlich. Lange vorher ausgedachte Zeltkoloniekonzepte (Fahnen, Sexpuppen, Zapfanlage, Boxen) entpuppten sich als hohl und brüchig, schwammen davon oder waren zerstört. Inmitten von Zeltstangen und Dosen einzelne, komatöse Mechanikerazubis mit bemalten Gesichtern, meist Penisse, Hakenkreuze oder Hitlerbärtchen. Ich hörte den Geschichten der Feiernden zu, lauschte den Jungs aus Xanten, trank einen mit Kids von der Nordsee und gab mir Mühe, wie sie zu sein. Überhaupt war es ein Gathering eher männlicher deutscher Rockfans, was so ärgerlich klingt wie es eben war, von überall her kamen Gruppen junger Männer, die paletten schwarzrotgoldene fünfnuller Biere zu türmen gestapelt, Türmen der eigenen hier auszutestenden Grenzen. Manchmal fiel eines hinunter, das griff ich mir verstohlen und trank hastig, niemand dachte daran, es einzusammeln, Bier war genug da. Auffällig bloss: die deutsche Rockjugend (ay) raucht wenig, kifft nicht, zieht keine Wachmacher in die Nase. Jedenfalls tarnt sie sich, weil man überall Bullen vermutet. Zurecht.
Mit meinem All Areas Bändchen, der Arcteryx Jacke und dem IPad konnte ich auf dem Platz den Eindruck eines Internetjounalisten machen, jedenfalls gegenüber mindestens einem Promill Atemalkohol, der hier quasi Standard und gute Sitte war. Ich schaute nach Gleichaltrigen, vielleicht Älteren, wollte deren Gründe für das alles hier erfahren. Im Backstage fand ich sie, subunternehmende, auf Rechnung sich ausbeutende Studenten, h&m-Werbung kopierende Gutfühler, die Limetten schnibbelten und herumsassen, aber nicht rauchten oder tranken. Trinken sei vertraglich untersagt, nunja. Ich nahm einen Schluck Deutschlandbier. Man habe viel Spass, aber auch Anstrengung. Es sei doch geil, dabei zu sein. Man sei ein gutes Team, es fühle sich gut an. Ich nickte, so sahen sie auch aus. Mich für einen Veranstaltungstechniker ausgebend verliess ich die Runde, Termine Termine.
Mein Lager am Kellereingang schütze ich mit einer Holzplatte, bloss den Geruch nasser Kleidung konnte ich ncht unterdrücken. Niemand schien mich bemerkt zu haben, man war mit Anderem beschäftigt.
Die erste Nacht war ein einziges Zittern und Herumrollen, den Trip auf die denkbar schlechteste Weise beenden. Am Morgen dann ein schnelles Frühstück beim Catering eines Unternehmens, das für Planquadrat a Irgendwas machte, vermutlich eine Dienstleistung. Der Kaffee jedenfalls war gut, die Schnittchen in Zelluloid verpackt. Ohne kontrolliert zu werden, entkam ich in Richtung Fest, dem ersten Bier entgegen. Bald würde es Musik geben, lautes Menschengeheul und steigender Kollektivpegel kündigten das alles an. Die Journalistenrolle begann, mich anzuöden, stattdessen stieg mein wahlloser Alkoholkonsum, der nasskalte Geruch tat sein Übriges. Ich war angekommen auf dem Fest, ein schmutziger, schnorrender Teil geworden von etwas Schrecklichem, das im Begriff war, sich selbst zu zerstören und schliesslich zerstört zu werden. Von diesem Tag bleibt bloss die Erinnerung an alle Arten Bier, Schnaps und Schnelltrinkvorrichtungen, eine kurze Freundschaft mit einer Gruppe Siebzehnjähriger, die direkt am Hauptweg campten und die Erkenntnis, das Prostitution für Bier real ist und öfter passiert, als gedacht.
Die Nacht war Regen, ich zog lange umher, mal allein, mal mit auf dem Weg Aufgelesenen. Manche hatten keine Schuhe mehr, manche waren beinahe nackt. Alle vereinte das Trinken, Trinken, Trinken und die Erkenntnis, dass Taschenlampen sinnvoll gewesen wären. Bei Morgengrauen dann der einzige absurde Lichtblick des ganzen Festes, etwas völlig unerwartetes, glitzerndes. Vor mir der Prototyp eines Zeltplatz-floors, perfekt: Zeltplanen zu Beduinenstätten aufgetürmt, vom Regen gezeichnet, doch intakt. Verschiedene Bereiche, Nischen. Jemand nahm Speed. Eine vollwertige Beschallungsanlage machte, was sie soll, sie beschallte den Platz im Umkreis vieler Meter mit dem einzigen, was hier denkbar wäre: „Die immer lacht“ von Kerstin Ott. Überall unnützer Kram, Platinen von Computern, Schnäpse, gestohlenes Bier, das niemand vermissen würde. Man saß oder stand herum, sogar Gras wurde geraucht und geteilt. Der Zelteigentümer trug ein Freiwild T-Shirt ohne Ärmel plus Hotpants, die Lippen arg rot. Er war wie in Trance, nicht ansprechbar, rausgemacht. Die Gründe nur in Gras und Speed zu suchen, erschien wie ein Trugschluss, da war mehr. Nach ‚die immer lacht‘ kam ein Zusammenschnitt aller Spongebob time cards. Etwa zwei Minuten später wieder „die immer lacht“, dann Spongebob. Nach einer Stunde spürte ich die Wirkung dieser Mischung, die sich tief ins Unbewusste eingrub, uns tanzen lies, wenn bei d i l der Bass einsetzt, immer wieder, zeitlos. Nur die regelmässigen time card Sequenzen gaben eine Konstante, sonst war alles immer lachen, weinen, lachen, Bass. Beinahe ekstatisches, kollektives Rausdrehen lockte immer neue Gäste, manche blieben, viele gingen bald. Die einzige Hierarchie galt dem Aushalten dieses Zustands, ich hielt aus, bis weit in den Morgen hinein. Erst spät wurde mir bewusst, wieviele schlafende, alkoholisierte Junghirne über Nacht programmiert wurden, wieviele Träume vom Soundtrack unserer Nacht mindestens beeinflusst waren. Ich dachte an die Möglichkeit von Musikterror wie gegen Noriega, dann an den Hamburger Hauptbahnhof, wo man klassische Musik gegen Alkoholiker einsetzt, ohne Erfolg.
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